„Wir-Zeit - Eine Familie auf der Reise zu sich selbst“ Ab jetzt im Handel
Jetzt wisst Ihr, warum es in letzter Zeit etwas ruhiger auf dem Blog war - mein Buch ist endlich da!
Wir-Zeit ist ein Buch über das Suchen, Scheitern und Finden von Familie.
Von einer Reise in die Ferne, um bei uns selbst anzukommen. Und einen Platz zu finden, an dem wir aber auch die Haut unseres Kratzekindes endlich zur Ruhe kommen kann.
Seit fast eineinhalb Jahren haben wir keinen Rückschlag mehr erlitten. Keinen Schub. Kein Kortison. Vor Jahren wäre dies undenkbar gewesen.
Jede Familie muss Ihren eigenen Weg finden. Dieser hier ist unserer.
Ich hoffe, das Buch macht Euch Freude! Hoffentlich gibt es Euch auch ein bisschen Mut, Hoffnung, Kraft und macht Lust auf Abenteuer! Das wäre schön.
Wir-Zeit.
Bei Eurer kleinen Lieblingsbuchhandlung, im Online-Handel oder hier erhältlich (link)
Und hier: Exklusiv der Prolog :) Viel Spass!
Prolog:
„Mama! Schau, ich bin ein Seeadler! Ich bin der König der Lüfte!“
Ich kann Joe nur schlecht hören, denn der Sturm trägt sein Jauchzen davon. Aber sehen kann ich ihn: Wie sich sein mittlerweile sechs Jahre alter, drahtiger Körper mit ausgebreiteten Armen gegen den Wind lehnt, um im nächsten Augenblick auf dem schier unendlich langen Strand loszusprinten – jederzeit bereit, abzuheben und sich aufzuschwingen in die salzige Meeresluft. Durch die täglichen Wanderungen und Outdoor-Aktivitäten in den letzten Monaten ist sein Babyspeck auf ein Minimum geschmolzen und hat Platz gemacht für eine muskulöse Statur, die perfekt zu seinem temperamentvollen, energiegeladenen Wesen passt. Körper und Geist stehen im konstanten Dialog miteinander. Seine dunkelblaue Windjacke bläht sich auf, von Weitem könnten es tatsächlich Flügel sein, die seinen wuscheligen Lockenkopf einrahmen. Seine Füße hinterlassen tiefe Spuren im Sand. Das Wasser spritzt ihm bis zur Hüfte, wenn er durch die Gischt sprintet. Nichts kann ihn aufhalten, nichts kann dieses Kind stoppen. Die ankommenden Wellen sind mindestens drei Meter hoch, bauen sich auf, fallen in sich zusammen und prallen mit Getöse auf den Strand der australischen Ostküste. Chris und ich schauen uns dieses Naturspektakel an. Lassen uns Zeit. Uns allen. Minuten, Stunden, Tage rasen nicht mehr. Die Zeit steht beinahe still. Frieder, genannt Raupe, saust seinem großen Bruder hinterher, geschmeidig schneiden seine zusammengelegten Handflächen an den ausgestreckten Ärmchen die Luft in Stücke, grazil wedelt sein kleiner Körper über den nassen Sand.
„Hier kommt der Weiße Hai, der Herrscher der Meere! Ich bin so wild, raaaaah!“
Ja, das stimmt, wild sind sie, unsere Kinder. Und frei. Jetzt, nach mittlerweile sechs Monaten unterwegs – on the Road sozusagen. Ein Landstreicherleben. Eins sein mit der Natur. Es gibt kaum etwas, das sie in ihrer Freiheit einschränkt, sie geben sich ihre Taktung weitestgehend selbst vor. Ein Luxus, den wir uns und ihnen aus vollem Herzen gönnen. Diese Freiheit macht ihnen keine Angst, im Gegenteil: Die letzten Monate haben sie gestärkt. Und auch uns, ihren Eltern, hat die daran geknüpfte Lebendigkeit und Leidenschaft der Kinder jedwede Angst genommen. Sie hat uns beflügelt und uns näher zu uns selbst gebracht. Uns als Eltern, uns als Paar, als Familie. Aber auch jeden Einzelnen von uns ganz allein und im Stillen zu sich selbst. Die Sorgen, wir könnten einen Fehler gemacht haben, womöglich etwas bereuen, sind mit dem um uns herum brausenden Wind davongeflogen. Wir besitzen mittlerweile fast nichts mehr und doch haben wir uns nie sicherer und sorgloser gefühlt, intensiver gespürt. Alle vier.
Es dauert, alte Muster abzuschütteln. Ein Urlaub mag kurzfristig ablenken, entspannen, anregen, aufregen – und doch bleibt man stehen. Erst eine lang andauernde Auszeit gibt die Kraft, den Raum und den Abstand, den es braucht, um sich seines Alltags zu entwöhnen, sich aus seiner Komfortzone hinaus zu bewegen, Steine aus Ansprüchen und Traditionen beiseite zu rollen und anderen Seiten in sich selbst Platz zu machen. Ich bin keine andere geworden in den letzten Monaten. Vielmehr habe ich mich wiedergefunden, tief vergraben unter einem Berg von Anforderungen, Stress, schlechtem Gewissen, Erwartungen und Ambitionen.
Aber nicht nur ich habe mich wieder freigeschaufelt – auch als Familie haben wir uns auf Reisen ganz neu kennenlernen und finden müssen. Wir haben allen überflüssigen Ballast über Bord geworfen. Wir sind ständig in Bewegung, aber nicht mehr getrieben. Wir sind weit weg, aber ganz nah bei uns. Wir sind rund um die Uhr zusammen, und doch bieten sich selbst auf engstem Raum genügend individuelle Rückzugsmöglichkeiten. Und all das nur, weil wir primär an einer Stellschraube gedreht haben: Zeit. Wir haben für uns Zeit. Wir-Zeit.
Ich liebe es, den Kindern zuzuschauen, ohne sie in ihrem konzentrierten Tun zu unterbrechen. Sie zu studieren. Von ihnen zu lernen. Stundenlang. Wie sie rennen und toben. Wie sie ihre selbstgebauten Angeln ins tosende Meer werfen. Wie aufrichtig sie sich über gefundene Krebspanzer, Muscheln und Steine freuen. Spielen ist die Arbeit der Kinder. Es steht mir nicht zu, sie dabei zu stören. Auch das musste ich lernen. Mittlerweile finde ich es respektlos, ein Kind ohne einen guten Grund in seinem ernsthaften Spiel zu unterbrechen. Denn es lehrt das Kind: Dein Spiel ist nicht wichtig, es ist nichts wert, ergo: Du bist nichts wert. Den daraus (für mich) resultierenden Vorsatz, unnötige Unterbrechungen zu vermeiden, nehme ich mir (täglich aufs Neue!) zu Herzen, um Stress für Joe und die kleine Raupe zu vermeiden. Es ist erstaunlich, wie oft ich mich dennoch dabei erwische, dass ich unnötig dazwischen quake, Gespräche meiner Kinder untereinander störe, ihre Sätze unaufgefordert zu Ende führe etc. Aber immer öfter beiße ich mir auf die Zunge und merke: Es tut ihnen gut und auch uns – sie sind viel länger vertieft, selbstständig und ausgeglichen, was uns Erwachsenen mitunter natürliche Freiräume verschafft.
Könnten wir jemals wieder einen Schritt zurück gehen, zurück in unser altes Leben, in dem wir ständig auf dem Sprung waren und uns vor lauter Park- und Halteverboten, Stopp- und Einbahnstraßenschildern nicht mehr frei bewegen konnten? Allein der Gedanke erscheint mir absurd. Schnell verwerfe ich ihn. Bis wir diese Entscheidung treffen müssen, dürfen wir noch über ein halbes Jahr gemeinsam reisen. Zu viert. Oder … halt. Ich lege die Handflächen auf meinen Bauch. Er hat schon begonnen, sich zu wölben. Zu fünft trifft es mittlerweile vielleicht besser. Ganz nebenbei schwanger zwischen vier Kontinenten. Möglich ist alles.
Frieder hebt einen gelbgoldenen Stein auf, den die Wellen an Land gespült haben.
„Echtes Gold!“, ruft er und läuft auf mich zu. „Mama, das ist unser Not-Gold. Wenn unsere Reisekasse leer ist, können wir davon für immer weiterziehen!“
Ich öffne meine Arme, er springt hinein und ich halte unseren Dreieinhalbjährigen so fest ich kann. Wir sind uns nah. Ich bin glücklich. Habe ich mich je freier gefühlt? Als Frieder die Umarmung löst, schaue ich ihm in die Augen. Und bin bestürzt.
„Raupe, du weinst ja! Um Gottes willen, was ist denn los? Hab’ ich dir wehgetan? Hast du dich verletzt?“
Zu meiner Überraschung lächelt er mich verwundert an.
„Nein, Mama, mach dir keine Sorgen. Das sind nur Freudentränen. Wenn mein Bauch vor Freude gurgelt, dann kullern die raus.“
Er wirft den Kopf in den Nacken, lacht und wischt sich die Tränen aus den Augen, um sich nur Sekunden später loszureißen und wieder mit voller Wucht in das Abenteuer zu stürzen, das Leben heißt. Er rennt zu seinem Bruder, greift seine Hand. Der Große lässt ihn friedfertig gewähren.
Ich schmecke Salz auf meinen Lippen. Die Seeluft? Aufspritzendes Meerwasser? Tränen? Nein, denke ich, so schmeckt Glück. Und kein bisschen anders.