Kratzekind

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Rückfall

Vor 5 Monaten entschloss ich mich, einen Blog zu starten. Keinen fröhlichen Sweet-Mama-Blog über feinste Rezepte, putzige Outfits, purzelnde Pfunde oder aufregende Bastelideen, sondern über die alternativen (Schatten-) Seiten ab der Norm, über die Zeit mit Kindern, wenn mal keiner feixt und gluckst. Und darüber, dass man auch mit Handicap durchaus cool drauf sein kann als Familie, auch mal Herausforderungen mit Humor begegnen sollte; dass man nicht aufgeben dürfe, positiv bleiben müsse, sich von einer chronischen Erkrankung des eigenen Kindes nicht unterkriegen lassen könne. 

Alles auf Anfang - so hieß mein 1. Blog-Post. Es ging um Atopie-Schübe, die aus dem Nichts auftauchen, sich wie Raketen blitzschnell nähern und treffsicher genau wissen, wo sie einschlagen müssen, um unsere Kinder und uns bestmöglich zu schmerzen. Denn der Schmerz des eigenen Kindes ist nur sehr schwer aushaltbar. Und so treffen die Schub-Raketen gleich doppelt: die Lunge oder Haut eines Kindes und das Kratzeeltern-Herz - in diesem Falle: mein Herz. 

Es folgten fünf turbulente Monate. Monate mit verkorksten Arztbesuchen und nicht endenden Pilzattacken, Ekzemen und Pusteln, Wutanfällen und Schuldgefühlen. Mit chronisch Erkrankten gibt es immer Hoch- und Tiefzeiten.

Aber gerade die letzten 6 Wochen kumulierten zum höchsten Hoch, das wir in unserer kleinen Familie seit sehr langer Zeit hatten. 6 Wochen schubfrei hießen für uns: 6 Wochen keine Tränen, 6 Wochen lang zwei (!) ausgeglichene, liebevolle und Nähe bedürftige Kinder, 6 Wochen pure Neugier und Fröhlichkeit (bis auf den üblichen Trotz-Nörgel-Nerv-Pupskanonen-Quatsch, den alle Kinder ihren Eltern tagtäglich aufs Auge drücken), 6 Wochen pure Herzlichkeit zwischen den Brüdern, 6 Wochen komplett schmerzfrei. Wie ein Flug in eine andere Galaxie. Zooooom! Unser Spaceshuttle ging ab wie ein Zäpfchen. Ab in ein anderes Leben. Ein Leben ohne Atopie - es war da, wir konnten es fühlen, ich schwöre, es war real. Und es fühlt sich verdammt gut an! Ich höre uns noch darüber reden, wie sich die Atopie verwachsen habe, endlich, wie wir unser Glück kaum fassen konnten.

Mission gescheitert - wir sind wieder auf der Erde gelandet, auf dem Boden der Tatsachen. Rückfall.

Es ging mit einem harmlosen Schnupfen los, den sich unser Kratzekind bei einem Freundesbesuch unter der Sonne Kaliforniens einfing; vielleicht lag es aber auch an dem vorgelagerten Flug, vielleicht an dem Wechsel zwischen dem rauhen, kanadischen Inselklima und der heiss-trockenen Luft Im Westen Amerikas, vielleicht an der erhöhten Luftverschmutzung in den Metropolen der Westküste, vielleicht an einem zu verchlorten Pool oder vielleicht auch an gar nichts von Alledem. Fakt ist, aus dem Schnupfen wurde ein Husten und aus dem Husten ein asthmatisches, bronchiales Pfeifen. Über Nacht tauchten auf der Haut dann plötzlich erste kleine Entzündungsherde auf; immerhin, das muss ich der Neurodermitis lassen, sie denkt sich immer was Neues aus für uns; mit ihr wird es nie langweilig. Die Ekzeme begannen dieses Mal also punktueller als sonst, nicht großflächig, sondern eher wie Akne-Brandherde. 'Das kriegen wir doch locker in den Griff' dachte ich, 'das ist doch kein Rückfall', bildete ich mir ein, 'das gesamthafte Hautbild ist doch immernoch so rosig und zart, das KANN kein Schub sein'.

"Mama gib mir das Asthmaspray, mir tut die Lunge weh", hörte ich vorgestern unseren 5-Jährigen jammern. "Ich hasse meine Haut", ertönte es nur einen Tag später. Erstmalig nach sechs Wochen ist die Haut nun wieder heiss, trocken und großflächiger gereizt, so dass selbst die Basispflege heute immens brannte, und das Eincremen in einem Meer von Tränen endete. Nachts höre ich Kratzgeräusche und wache davon auf. Morgens lächelt mich ein Kind an, dessen Händchen zeitgleich am Körper rauf und runter huschen. Kritzekratze.

Wieder alles auf Anfang?! Wie oft denn noch? Und ich hatte wirklich daran geglaubt, es sei vorbei. Wie naiv! Wie blauäugig! 

Wir sind frustriert. Wie wird es weitergehen? Neue Produkte? Neuer Arzt? Was geht unserem Kratzekind durch den Kopf? Was für Schmerzen hat er? Welche Überraschungen hält die Atopie dieses Mal für uns bereit? Wird sich die Lunge zumindest stabilisieren, wenn schon die Haut keinerlei Anstalten macht, sich in nächster Zeit unauffällig zu verhalten? Reichen die Kräfte - unsere und die unseres Kindes?

Ja klar! Natürlich wird es irgendwie gehen, weil es irgendwie gehen muss. Dennoch bin ich heute enttäuscht und traurig. Das darf auch mal sein. Morgen früh setze ich wieder mein Happy-Smile auf. Versprochen.